← Index Ich liege auf der Rückbank des Autos. Ein roter Fiat 127, Baujahr 1972. Aus diesem Modell ist später der Jugo entstanden.
Ich schaue auf die Lichter, die sich über mir bewegen, draußen an der Tunneldecke. Und beobachte, wie die Lichtstrahlen sich in der Scheibe brechen, dort in einem schmalen Winkel abknicken, um innen auf die Autodecke zu strahlen und auf der Fläche weiterzuziehen. Immer zuckt ein neuer Lichtblitz von draußen, dann innen, zieht seine Bahnen und verschwindet. Und ein neuer kommt. Ich fange immer wieder an zu zählen und vergesse es dann, weil mich die Lichter ablenken.
Vorne sitzen meine Eltern. Mein Vater am Steuer, meine Mutter daneben. Sie raucht, mit rechts. Mit der linken dreht sie das Lied im Radio lauter. Elvis singt »Suspicious Minds«.
Ich kann den Text mitsingen, verstehe aber kein Wort. Meine Mutter lacht immer, wenn ich Elvis nachmache, die Haarbürste als Mikrofon in der Hand und meine Hüfte schwingend zum Takt. So habe ich das im Fernsehen gesehen. Die Fahrt gleicht einer Flucht. (…)
Offiziell fahren meine Eltern zu einem Kongress nach Graz.
Graz liegt aber jetzt schon hinter uns. Wir durchqueren Österreich.
»Durchfuhr von Waren oder Durchreise von Personen durch ein Drittland bezeichnet man als Transit.» Das Drittland ist Österreich, Austria.
Mit 18 war mein Vater ein glühender Kommunist. Er wurde nach Deutschland geschickt, um hier seine Kenntnisse in der Programmierung zu erweitern, um diese dann dem sozialistischen Jugoslawien zur Verfügung zu stellen. (…)
Bei einem seiner Heimaturlaube traf er meine Mutter. Sie verliebten sich, früher oder später. Meine Mutter zögerte, sie war Katholikin und ihre Familie war Repressalien ausgesetzt, da sie zur Kirche gingen. Mutter: Katholisch praktizierend. Vater: Parteikader.
Hier traf sich also Moral auf Disziplin. Eine besondere Mischung. Aber dazu komme ich in meiner nächsten Arbeit zu sprechen. In seinem Liebestaumel steckte mein Vater sein Parteibuch in den öffentlichen Briefkasten mit dem Vermerk »Zurück an die Partei«. Aus Liebe wurde mein Vater zum Verräter an der Partei. Die Partei dankte es ihm mit wissenschaftlichem Stubenarrest.
In diesen Wirren kam ich zur Welt. (…)
Wir lassen Salzburg hinter uns.
Die deutsche Grenze liegt vor uns. Der Regen stürzt, wie man im deutschen so sagt aus Eimern, auf die Welt nieder während unserer Rast, irgendwo im Nirgendwo, keine Raststätte oder Autobahnparkplatz vorhanden. Nein, in einem entlegenen Ort, lande ich kniehoch im Matsch, als ich versuche einer Katze nachzulaufen. Ich will sie streicheln, fangen und mitnehmen. »Komm, Kätzchen komm,« aber sie will nicht, rennt weg und lockt mich immer tiefer in den Matsch und weiter weg von meinen Eltern.
Dann verliere ich sie, die Katze und meine Eltern. Und stehe mit schlammbedeckten Beinen in einem kleinen Wald und weine, während der Regen fällt. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin, wo meine Eltern sind und denke, dass ich nun irgendwie im Wald überleben muss. Aber wie?
Das nächste, an das ich mich erinnere ist die handfeste Ohrfeige meiner Mutter. Sie weint und schimpft gleichzeitig und ich schwöre, niemals wieder einfach so wegzulaufen.
Die Katze war schuld. Wirklich glaube mir. Ich wollte nicht weglaufen.
Ruppig reibt sie mir den verkrusteten Schlamm von den Beinen. Sie ist klitschnass, ich auch. Mein Vater sitzt im offenen Auto und raucht. Er sieht müde aus. Er sagt mir, dass ich noch geduldig sein muss. Schweigend liege ich auf der Rückbank und zähle wieder Lichtblitze, die sich an der Tunneldecke bilden.
Zum Glück hat Österreich viele Tunnel.
Meine Wange brennt immer noch von der Ohrfeige meiner Mutter.
8) »Transit«, Lecture Performance/Videoinstallation, Künstlerhaus Bremen, 2019
8) »Transit«,
Lecture Performance/Videoinstallation,
Künstlerhaus Bremen, 2019
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Ich schaue auf die Lichter, die sich über mir bewegen, draußen an der Tunneldecke. Und beobachte, wie die Lichtstrahlen sich in der Scheibe brechen, dort in einem schmalen Winkel abknicken, um innen auf die Autodecke zu strahlen und auf der Fläche weiterzuziehen. Immer zuckt ein neuer Lichtblitz von draußen, dann innen, zieht seine Bahnen und verschwindet. Und ein neuer kommt. Ich fange immer wieder an zu zählen und vergesse es dann, weil mich die Lichter ablenken.
Vorne sitzen meine Eltern. Mein Vater am Steuer, meine Mutter daneben. Sie raucht, mit rechts. Mit der linken dreht sie das Lied im Radio lauter. Elvis singt »Suspicious Minds«.
Ich kann den Text mitsingen, verstehe aber kein Wort. Meine Mutter lacht immer, wenn ich Elvis nachmache, die Haarbürste als Mikrofon in der Hand und meine Hüfte schwingend zum Takt. So habe ich das im Fernsehen gesehen. Die Fahrt gleicht einer Flucht. (…)
Offiziell fahren meine Eltern zu einem Kongress nach Graz.
Graz liegt aber jetzt schon hinter uns. Wir durchqueren Österreich.
»Durchfuhr von Waren oder Durchreise von Personen durch ein Drittland bezeichnet man als Transit.» Das Drittland ist Österreich, Austria.
Mit 18 war mein Vater ein glühender Kommunist. Er wurde nach Deutschland geschickt, um hier seine Kenntnisse in der Programmierung zu erweitern, um diese dann dem sozialistischen Jugoslawien zur Verfügung zu stellen. (…)
Bei einem seiner Heimaturlaube traf er meine Mutter. Sie verliebten sich, früher oder später. Meine Mutter zögerte, sie war Katholikin und ihre Familie war Repressalien ausgesetzt, da sie zur Kirche gingen. Mutter: Katholisch praktizierend. Vater: Parteikader.
Hier traf sich also Moral auf Disziplin. Eine besondere Mischung. Aber dazu komme ich in meiner nächsten Arbeit zu sprechen. In seinem Liebestaumel steckte mein Vater sein Parteibuch in den öffentlichen Briefkasten mit dem Vermerk »Zurück an die Partei«. Aus Liebe wurde mein Vater zum Verräter an der Partei. Die Partei dankte es ihm mit wissenschaftlichem Stubenarrest.
In diesen Wirren kam ich zur Welt. (…)
Wir lassen Salzburg hinter uns.
Die deutsche Grenze liegt vor uns. Der Regen stürzt, wie man im deutschen so sagt aus Eimern, auf die Welt nieder während unserer Rast, irgendwo im Nirgendwo, keine Raststätte oder Autobahnparkplatz vorhanden. Nein, in einem entlegenen Ort, lande ich kniehoch im Matsch, als ich versuche einer Katze nachzulaufen. Ich will sie streicheln, fangen und mitnehmen. »Komm, Kätzchen komm,« aber sie will nicht, rennt weg und lockt mich immer tiefer in den Matsch und weiter weg von meinen Eltern.
Dann verliere ich sie, die Katze und meine Eltern. Und stehe mit schlammbedeckten Beinen in einem kleinen Wald und weine, während der Regen fällt. Ich weiß nicht mehr, wo ich bin, wo meine Eltern sind und denke, dass ich nun irgendwie im Wald überleben muss. Aber wie?
Das nächste, an das ich mich erinnere ist die handfeste Ohrfeige meiner Mutter. Sie weint und schimpft gleichzeitig und ich schwöre, niemals wieder einfach so wegzulaufen.
Die Katze war schuld. Wirklich glaube mir. Ich wollte nicht weglaufen.
Ruppig reibt sie mir den verkrusteten Schlamm von den Beinen. Sie ist klitschnass, ich auch. Mein Vater sitzt im offenen Auto und raucht. Er sieht müde aus. Er sagt mir, dass ich noch geduldig sein muss. Schweigend liege ich auf der Rückbank und zähle wieder Lichtblitze, die sich an der Tunneldecke bilden.
Zum Glück hat Österreich viele Tunnel.
Meine Wange brennt immer noch von der Ohrfeige meiner Mutter.